ARCH+ Features 36: Projekt Bauhaus
Im Jahr 2019 jährt sich die Gründung des Bauhauses zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass führt die Initiative „Projekt Bauhaus“ in einem auf fünf Jahre angelegten Prozess eine kritische Inventur der Bauhausideen durch und testet diese auf ihr Potenzial für wesentliche Fragestellungen der Gegenwart. Im Rahmen des ARCH+ features wurde die Jahresfrage 2015 bekanntgegeben und in vier parallel stattfindenden Diskussionsrunden behandelt: Kann Gestaltung Gesellschaft verändern?
Die kurzen und prägnanten Panels dienen dazu, die unterschiedlichen Aspekte von Gestaltung vor Augen zu führen und den Diskurs in der Projektgruppe öffentlich zugänglich zu machen sowie zum Weiterdenken und Mitmachen anzuregen. Nikolaus Kuhnert, Herausgeber der Zeitschrift Arch+, erläuterte in seiner Einführung, welche vielfältigen Inspirationen und Anknüpfungspunkte das Bauhaus für unsere Zeit bietet. Er betonte, dass das Bauhaus im Rahmen der Veranstaltung aus seiner Zeit heraus verstanden werden müsse. Das Ziel sei aber nicht Historisierung, sondern die kreative Nutzbarmachung der Potenziale für die Architektur und Gesellschaft der Gegenwart.
Jesko Fezer, Architekt, Designer und Hochschullehrer, sprach in seiner Einführung die vielfältigen Aspekte des Phänomens Bauhaus an. In der darauffolgenden Diskussion mit Jan Wenzel widmete er sich dem Thema „Kairos und Gestaltung“. Welchen Stellenwert hatte die „Gunst des richtigen Augenblicks“ bei der Gründung und Entwicklung des Bauhaus? Und wie ist das ambivalente Verhältnis zu staatlichen Institutionen zu deuten, die in verschiedenen historischen Situationen ermöglichend wirkten, in anderen aber restringierend auftraten – bis hin zur Destruktion? Angesichts dieses historisch prekären Verhältnisses und der Tatsache, dass das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum zu einer Unternehmung staatlicher Repräsentation erhoben wird, stelle sich die Frage, so Fezer und Wenzel in ihrem Resümee, ob damit nicht vor allem eine Selbstkritik des Staates verbunden sein muss.
Der Architekt und Kasseler Universitätsprofessor Philipp Oswalt war bis Februar 2014 rund fünf Jahre lang Direktor und Vorstand der Stiftung Bauhaus Dessau. In seiner Introduktion schlug er gedankliche Brücken zwischen dem Bauhaus der Zwischenkriegszeit und der Gegenwart.
Der Grafikdesigner und Kunsthistoriker Walter Scheiffele nahm den „Mythos Bauhaus“ in den Blick. Er ist das Ergebnis einer folgenreichen Inszenierung Walter Gropius’, der das Bauhaus zu einem singulären Ereignis stilisierte und in der Folge eine Deutungshoheit über die ganze Moderne in Deutschland gewann. Mit der Etablierung dieses „Alleinstellungsmerkmals“ gerieten auch die durchaus erfolgreichen Bezüge der Bauhäusler zur Politik und Ökonomie ihrer Zeit aus dem Blickfeld. Die Retuschen an den für die moderne Kultur notwendigen Verbindungen zu sozialen Bewegungen und technischen Entwicklungen sind auch an den Dokumenten der Zeit haften geblieben, und sie wirken bis heute nach.
Die Kunst- und Kulturhistorikerin Anja Baumhoff beleuchtete das Bauhaus als soziales Experiment. Beeinflusst von der Lebensreformbewegung, oszillierte das frühe Bauhaus zwischen sozialer Romantik und utopischem Überschuss. Gestaltung begriff man als soziales Phänomen, dem man zutraute, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

Alle Fotos: David von Becker
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